KTQ® im Pressespiegel
2018/05 - Das Krankenhaus: Qualitätsmanagement im Krankenhaus – Quo vadis?
Patientenorientierung im Spannungsfeld zwischen GBA-Richtlinien, Zertifizierung und Ökonomie
Der Leitgedanke der Patientenorientierung und des Vermeidens von Schäden standen und stehen immer im Mittelpunkt ärztlichen Handelns. Doch Ende des 20. Jahrhunderts setzte vor dem Hintergrund des zunehmenden Fortschritts in der Medizin, dessen Kosten die finanziellen Ressourcen übersteigen, eine rasante Entwicklung ein, bei der von verschiedenen externen Akteuren zunehmend Einfluss auf die Qualitätsorientierung der medizinischen Versorgung genommen wird. Auch die Ansprüche der Patienten, die auch über die Möglichkeiten der heutigen Medizin besser als je zuvor informiert sind, sind gestiegen. Zu Recht stellt Christiane Woopen, von 2012 bis 2016 Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, 2001 fest: „Medizinisches Handeln liegt im Schnittbereich von Qualitätsmanagement, Gesundheitsökonomie und Ethik.“
In der westlichen Welt hatte man bereits Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen, durch Normung, zunächst im Maschinenbau, eine Standardisierung und damit eine einheitliche Qualität zu erreichen. Es entstand die DIN – die Deutsche Industrie-Norm, bald auf europäischer Ebene die EN (Europäische Norm) und international die ISO (International Organization for Standardization). Diese Optimierungsbemühungen in der Industrie wurden schließlich auch auf Dienstleistungen übertragen. Der Gedanke lag nahe, hierüber auch Optimierungen in Einrichtungen des Gesundheitswesens anzustreben.
1997 wurde ein Rahmenvertrag zwischen der Bundesärztekammer und den Spitzenverbänden der GKV zur Gründung der „Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus“ – KTQ – geschlossen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Pflegeverbände schlossen sich an. Damit wurde KTQ zum Vorreiter einer auf das (zunächst stationäre) Gesundheitswesen orientierten QM-Systematik. Die Prinzipien des aus der Industrie bekannten PDCA-Zyklus wurden beibehalten. In den sechs Kategorien Patientenorientierung, Mitarbeiterorientierung, Sicherheit – Risikomanagement, Kommunikations- und InformationsÂwesen, Unternehmensführung und Qualitätsmanagement wird der PDCA-Zyklus auf alle Bereiche eines Versorgungsprozesses angewandt. Eine Selbstbewertung erfordert eine selbstkritische interne Analyse. Die nachfolgende Fremdbewertung durch externe Visitoren ergibt über ein spezielles Punktesystem dann die abschließende Gesamtbewertung und Erteilung des Zertifikates. Dieses behält für drei Jahre Gültigkeit. In dieser Phase bietet das KTQ-Plus-Verfahren optional eine Zwischenvisitation an.
Im Jahr 2012 wurde die ursprünglich vorwiegend im Bereich der Industrie und von Dienstleistungsunternehmen genutzte DIN ISO 9001 durch die DIN ISO 15224 als bereichsspezifische Norm für Einrichtungen der Gesundheitsversorgung ergänzt. Obwohl diese Norm verschiedentlich als der neue Standard für QM-Systeme in Organisationen der Gesundheitsversorgung bezeichnet wurde (Paschen 2013), hat sie sich bis heute nicht durchgesetzt.
Bereits 2002 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss die Richtlinie „Vereinbarung gemäß § 137 SGB V über die grundsätzlichen Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Krankenhäuser“ erlassen. Im November 2016 trat dann die erweiterte QM-Richtlinie in Kraft, jetzt sektorenübergreifend gültig für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte und Zahnärzte. Dezidiert listet die Richtlinie auf, welche Aspekte in der Einrichtung vorzuhalten bzw. umzusetzen sind. Dies umfasst u. a. das Messen und Bewerten von Qualitätszielen, die Erhebung des Ist-Zustandes und eine Selbstbewertung, die Regelung von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, Befragungen von Patienten und Mitarbeitern, die Etablierung eines Beschwerde-, Risiko- und Fehlermanagements bis hin zu HygieneÂmanagement und der Arzneimitteltherapiesicherheit. Diese Vorgaben werden von den meisten Zertifizierungsverfahren mehr oder weniger ausführlich überprüft. Am umfassendsten fragt der KTQ-Katalog zur Selbst- und Fremdbewertung diese Vorgaben des G-BA ab. So wird der geforderte PDCA-Zyklus in jedem Kriterium bis auf die Ebene des einzelnen Themas umgesetzt. Hierdurch werden die Klinikmitarbeiter systematisch und detailliert auf die notwendigen Fragestellungen hingewiesen und lösungsorientiert angeleitet. Auch die durch den G-BA geforderten Methoden und Instrumente (§ 4 der Richt linie) – Patientenbefragungen, Mitarbeiterbefragungen und Aufklärung/Patienteninformation – werden abgebildet und konkretisiert. Systematisch bearbeitet KTQ das Thema Risikomanagement und Etablierung einer Sicherheitskultur zur Fehlervermeidung. Auch die in der G-BA-Richtlinie benannten Anwendungsgebiete Notfallmanagement, Hygienemanagement, ArzneimitteltherapieÂsicherheit, Schmerzmanagement und Sturzprophylaxe werden im KTQ-Katalog ebenfalls, z. T. wiederholt, abgehandelt.
Trotz der differenzierten und ins Detail gehenden QM-Richtlinie des G-BA findet sich nur bei einer geringen Anzahl der bundesweiten Krankenhäuser ein systematisch etabliertes Qualitätsmanagementsystem. Geschätzt dürfte höchstens ein Viertel aller Kliniken als Gesamtinstitution zertifiziert sein. Offensichtlich ist die Mehrzahl der Geschäftsführer und Ärztlichen Direktoren der Auffassung, dass in ihrem Haus eine ausreichende Qualitätsorientierung gelebt wird. Die umfassenden, verpflichtenden Vorgaben, etwa zur externen Qualitätssicherung und zu verschiedensten Dokumentationsverpflichtungen, neuerdings zum Datenschutz und zur Notfallversorgung, sind nicht geeignet, die Bereitschaft zu einem weitergehenden Engagement im Bereich QM zu fördern. Übersehen werden dabei die Chancen, durch eine verbesserte Mitarbeiterorientierung wertvolle Personalressourcen zu stärken und an die eigene Institution zu binden. Die Problematik nicht mehr zu besetzender pflegerischer und ärztlicher Stellen wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft weiter verschärfen.
Bei der Frage des Nutzens einer QM-Zertifizierung müssen außer dem Nutzen einer internen Prozessoptimierung und Mitarbeiterbindung auch wirtschaftliche Aspekte gesehen werden. Eine Studie des Center for Health Economics der Universität Hamburg (Lindlbauer, Schreyögg, Winter, 2016) zeigte Effizienzvorteile bei Kliniken, die nach KTQ zertifiziert waren. Es erscheint durchaus auch logisch, dass die selbst- und fremdkritische Hinterfragung der Handlungsabläufe innerhalb einer Klinik und die konsequente Einbindung der Mitarbeiter Vorteile in der Gesamtbilanz einer Klinik nach sich ziehen.
Ein engagiertes Qualitätsmanagement stellt den Patienten in den Mittelpunkt – nicht weniger auch die Mitarbeiter, die sich engagieren, deren Leid zu vermindern. Dieses Bemühen ist ein integraler Bestandteil ärztlicher und pflegerischer Arbeit und letztlich ungleich wichtiger und effektiver als jede überbordende gesetzgeberische Vorgabe.
Literatur
Engwicht Carmen: Zertifizierung von Krankenhäusern, München, GRIN Verlag, 2000 Lindlbauer I, Schreyögg J, Winter V (2016) Changes in technical efficiency after quality management certification: A DEA approach using difference-in-difference estimation with genetic matching in the hospital industry.
European Journal of Operational Research 250, 1026-1036
Paschen U.: Die DIN EN 15224:2012 - der neue Standard für QM-Systeme in Organisationen der Gesundheitsversorgung und die Konformitätsbewertung.
Interdisciplinary Contributions to Hospital Managements: Medicine, Patient Safety and Economics. 27.06.2013 #012. » http://www.clinotel-journal.de/articleid-012.html
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sowie zugelassene Krankenhäuser » https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1296/QM-RL_2015-12-17_iK-2016-11-16.pdf
Woopen Christiane: Medizinisches Handeln als Gegenstand von Ethik, Qualitätsmanagement und Gesundheitsökonomie. In: Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine, Hrsg: K.W. Lauterbach, M. Schrappe, Schattauer Verlag Stuttgart 2001
Anschrift des Verfassers
Dr. Josef Mischo,
Vorsitzender der KTQ-Gesellschafterversammlung, Präsident der Ärztekammer des Saarlandes,
Faktoreistraße 4, 66111 Saarbrücken
Quelle: das Krankenhaus, 05/2018, S. 437-438.